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Kanzlei Tykwer & Kirsch
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Amtsgericht Lemgo, 16 C 10/20 / 24.08.2020

Tenor:

Die Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft A.straße in S. aus der Eigentümerversammlung vom 21.05.2020 zu den Tagesordnungspunkten 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 sind nichtig.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Verwalter.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Ungültigerklärung bzw. die Feststellung der Nichtigkeit von Beschlüssen der Wohnungseigentümergemeinschaft aus der Eigentümer-versammlung vom 21.05.2020.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft A.straße in S. Zum Verwalter ist Herr E. bestellt. Die Bestellzeit lief aufgrund Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 12.06.2018 bis zum 31.12.2020.

Der Verwalter lud mit Schreiben vom 06.05.2020 zur „Eigentümerversammlung im Vollmachtsverfahren“ am 21.05.2020 in sein Büro ein. In dem Einladungsschreiben wurde darauf hingewiesen, dass wegen der Corona-Krise das Büro für den Publikumsverkehr geschlossen sei und Eigentümerversammlungen mit persönlicher Anwesenheit wegen der Kontaktsperre nicht stattfinden können. Die Wohnungs-eigentümer wurden aufgefordert, dem Verwalter Vollmacht zu erteilen und auf einem beigefügten Protokoll ihre Abstimmungswünsche anzukreuzen. Weiter heißt es in dem Einladungsschreiben:

„Bitte erscheinen Sie nicht persönlich zur Eigentümerversammlung.“ Zum weiteren Inhalt der Einladung wird auf Bl. 7-8 d.A. Bezug genommen.

In der Eigentümerversammlung am 21.05.2020 war ausschließlich der Verwalter anwesend. Die Beklagten zu 3.-6., die einen Stimmanteil von 600/1000 Miteigentumsanteilen innehaben, hatten dem Verwalter Vollmacht erteilt und ihre Abstimmungswünsche mitgeteilt. Dementsprechend wurden zu den Tagesordnungs-punkten 2-8 Beschlüsse gefasst, wobei die Beschlussanträge zu den Tages-ordnungspunkten 2-6 angenommen, die Beschlussanträge zu den Tagesordnungs-punkten 7-8 abgelehnt wurden.

Die Kläger behaupten, den Verwalter mit anwaltlichem Schreiben vom 13.05.2020 darauf hingewiesen zu haben, dass die beabsichtigte Durchführung der Eigentümerversammlung im Vollmachtsverfahren unzulässig sei. Sie halten sämtliche Beschlüsse wegen Verstoßes gegen ihr Teilnahmerecht an der Eigentümerversammlung für unwirksam bzw. nichtig.

Die Kläger beantragen,

die Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft A.straße 1a in S. aus der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2020 insgesamt für ungültig/nichtig zu erklären.

Die Beklagten zu 3.-6. beantragen,

              die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen,

              1. zu erkennen, was Rechtens ist,

              2. die Kosten des Rechtsstreits dem Verwalter aufzuerlegen.

Die Beklagten zu 1.-2. teilen die Rechtsansicht der Kläger.

Die übrigen Beklagten halten die Beschlüsse für wirksam, da die Kläger ihr Stimmrecht durch die Erteilung einer Vollmacht und Mitteilung ihrer Abstimmungswünsche hätten ausüben können.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist begründet. Die in der Eigentümerversammlung gefassten bzw. abgelehnten Beschlüsse sind nichtig, § 23 Abs. 4 S. 1 WEG.

Die Beschlüsse verstoßen gegen § 23 Abs. 1 WEG.

Beschlüsse einer Eigentümerversammlung sind nichtig, wenn sie in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreifen. Zu dem Kernbereich des Wohnungseigentums gehören das Recht der Wohnungseigentümer, an der Eigentümerversammlung teilzunehmen (Merle in Bärmann, WEG, 14. Aufl., § 23 Rn. 140, 140a).

Vorliegend wurde den Wohnungseigentümern durch die Form der Ladung eine Teilnahme an der Eigentümerversammlung letztlich verwehrt. Das Einladungsschreiben, in dem darauf hingewiesen wird, dass eine Eigentümerversammlung „im Vollmachtsverfahren“ stattfinden soll, das Büro des Verwalters für Publikumsverkehr geschlossen ist, Versammlungen mit persönlichem Erscheinen der Wohnungseigentümer wegen der Kontaktsperre bzw. der Abstandsregelungen nicht stattfinden können und die Adressaten der Einladung unmissverständlich gebeten werden, nicht persönlich zur Eigentümerversammlung zu erscheinen, sondern eine Vollmacht an den Verwalter zu erteilen und ihr Stimmrecht schriftlich auszuüben, stellt sich im Ergebnis als „Ausladung“ der Wohnungseigentümer dar. Jedenfalls durften und mussten die Wohnungseigentümer die Einladung allein dahin verstehen, dass ihnen die persönliche Teilnahme an der Eigentümerversammlung verwehrt wird. Dem steht nicht entgegen, dass ein ausdrückliches Verbot der Teilnahme nicht formuliert wurde. Aus der Gesamtschau der o.a. Ladungsinhalte mussten die Wohnungseigentümer annehmen, dass sie an der Eigentümerversammlung nicht teilnehmen können, da diese im Büro des Verwalters stattfand und dieses „für den Publikumsverkehr“ geschlossen war. Es bedurfte mithin keiner persönlichen Abweisung derjenigen Wohnungseigentümer, die persönlich zur Eigentümerversammlung erschienen und an dieser hätten teilnehmen wollen.

Diese Form der Einladung verletzte die Wohnungseigentümer im Kernbereich ihrer Rechte, nämlich dem Recht auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung und Ausübung des Stimmrechts. Zwar konnten die Wohnungseigentümer schriftlich ihr Stimmrecht ausüben. Eine Auseinandersetzung und Diskussion über die verschiedenen Beschlussanträge konnte indes nicht stattfinden. Genau dies stellt aber den Wesensinhalt einer Eigentümerversammlung als dem Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft i.S.d. § 23 Abs. 1 WEG dar.

Wurde sämtlichen Wohnungseigentümer damit die Teilnahme an der Eigentümerversammlung verwehrt, unterscheidet sich der streitgegenständliche Sachverhalt maßgeblich von dem der Entscheidung des Bundesgerichtshof (NJW 2012, 3571-3572) zugrundeliegenden Sachverhalt. In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde ein Teileigentümer nicht zur Eigentümerversammlung geladen, da der Verwalter rechtsirrtümlich annahm, dass Teileigentümer kein Teilnahmerecht haben. Im Ergebnis handelte es sich daher um eine irrtümliche bzw. versehentliche Nichtladung eines einzelnen Eigentümers. Im streitgegenständlichen Fall indes erhielten zwar sämtliche Wohnungseigentümer eine Ladung zur Eigentümerversammlung, sollten an dieser aber nicht teilnehmen. Dies stellt im Ergebnis eine bewusste Nichtladung sämtlicher Wohnungseigentümer dar.

Die am 21.05.2020 allein vom Verwalter durchgeführte Eigentümerversammlung verstieß daher gegen § 23 Abs. 1 WEG.

Die Durchführung einer Eigentümerversammlung ausschließlich durch den mit Vollmachten der Beklagten zu 3.-6. versehenen Verwalters war auch nicht etwa aufgrund der coronabdingten Einschränkungen gerechtfertigt. Zum einen hätte am 21.05.2020 eine Eigentümerversammlung unter Anwesenheit sämtlicher Wohnungseigentümern stattfinden können. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 der CoronaschutzVO NRW i.d.F. vom 08.05.2020, in Kraft seit dem 11.05.2020, war ein Treffen von maximal 10 Personen zulässig. Der Verwalter hätte mithin im Nachgang zu der Einladung den Wohnungseigentümern mitteilen können und müssen, dass eine Eigentümerversammlung doch mit persönlichem Erscheinen zulässig gewesen wäre. Gegebenenfalls hätte ein ausreichend großer Versammlungsraum ausgewählt werden müssen.

Zum anderen sind auch keine Gründe ersichtlich, die eine Eigentümerversammlung „im Vollmachtswege“ am 21.05.2020 erforderlich machten. Es bestand keine Dringlichkeit für eine Beschlussfassung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten. Namentlich war der Verwalter wirksam noch bis zum 31.12.2020 bestellt. Zudem blieb der Verwalter nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht (CoronaMaßnahmenG) bis zu seiner Abberufung oder Bestellung eines neuen Verwalters im Amt. Nach § 6 Abs. 2 des CoronaMaßnahmenG) galt zudem der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan fort. Damit war die Wohnungseigentümergemeinschaft handlungsfähig. Die übrigen Tagesordnungspunkten hätten unschwer auch in einer zu einem späteren Zeitpunkt abgehaltenen Eigentümerversammlung beschlossen werden können.

Nach alledem waren sämtliche in der Eigentümerversammlung vom 21.05.2020 unter Verstoß gegen das Teilnahmerecht der Wohnungseigentümer gefassten bzw. abgelehnten Beschlüsse nichtig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 49 Abs. 2 WEG. Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Verwalter aufzuerlegen, da er den Rechtsstreit veranlasst hat und ihn ein grobes Verschulden trifft. Wie ausgeführt, waren die in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse nichtig. Der Verwalter hat die Eigentümerversammlung in der Form durchgeführt, obwohl er nach dem unbestrittenen Vortrag der Kläger und der Beklagten zu 1. und 2. Durch anwaltliches Schreiben darauf hingewiesen wurde, dass die Abhaltung einer Eigentümerversammlung allein mit Vollmachten unzulässig ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf bis 14.000,00 EUR (TOP 2, 3: jeweils 20.000,00 EUR x 1/5 = jeweils 4.000,00 EUR; TOP 4: 1.000,00 EUR; TOP 5: 24 Monate x 21,00 EUR x 5 = 2.520,00 EUR x 1/5 = 504,00 EUR; TOP 6: 24 Monate x 2,00 EUR x 5 = 240,00 EUR x 1/5 = 48,00 EUR; TOP 7, 8: je 2.000,00 EUR) festgesetzt.