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Kanzlei Tykwer & Kirsch
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Landgericht Detmold, 12 VI 661/19 / 23.01.2020

Tenor:

wird der Erbscheinsantrag des Antragstellers vom 08.07.2019 kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Verfahrenswert wird auf 193.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller hat als Bruder des o. g. Verstorbenen beantragt, im Erbschein als Alleinerbe ausgewiesen zu werden. Alleinerbe wäre er nur, wenn die Ehefrau    nicht Erbe des Verstorbenen und gem. § 1933 BGB vom Ehegattenerbrecht ausgeschlossen wäre.

Nach Überzeugung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Ehefrau ist nach der Vorschrift des § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB Erbin neben dem Betroffenen. Daher war der Antrag zurückzuweisen.

Ein Ausschluss des gesetzlich begründeten Ehegattenerbrechts ist nicht gegeben. Gründe hierfür lägen nach der Vorschrift des § 1933 BGB nur dann vor, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers a) die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und b) der Erblasser die Scheidung der Ehe beantragt oder ihr zugestimmt hatte.

a) Die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe waren zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers gem. § 1565 BGB geben. Nicht nur während des Scheidungsverfahrens. Die Ehe der Beteiligten ist nach dem Zerrüttungsprinzip zu beurteilen. Sie war während des Scheidungsverfahrens gescheitert und blieb es. Die Akte bietet dafür trotz der Argumente der Ehefrau des Verstorbenen und ihrer Verteidigung aus Sicht des Sachbearbeiters keine anderen Anhaltspunkte:

Die Lebensgemeinschaft bestand seit Mai 2001 nicht mehr, vgl. die Begründung des Scheidungsantrages. Die Lebensgemeinschaft wurde auch nie wieder hergestellt. Dieser Tatsache wurde in den Schriftsätzen beider Seiten zur Nachlassakte und auch bei Anhörung der im Scheidungsverfahren 2008 und 2009 tätigen Prozessbevollmächtigten nicht widersprochen.

Die Zeugenaussage der Frau   (Tochter der Ehefrau), dass ihre Mutter seit dem Jahr 2003 bis zum Tod des Erblassers mit diesem immer wieder in Kontakt war, sie im Jahr 2006 einen gemeinsamen Urlaub verbracht haben, sie bis 2001 zusammen am Haus    in      gearbeitet und sich öfters Geschenke gemacht haben, ist rechtlich in Bezug auf die Scheidungsvoraussetzungen nicht von Belang. Objektiv lebten die Eheleute getrennt und eine Bereitschaft, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder herzustellen, bestand nicht – weder von der einen noch von der anderen Seite. Jedenfalls ist dies weder aus der Scheidungsakte noch aus den Vorträgen der Beteiligten noch aus der Zeugenaussage zu entnehmen. Alles andere wäre Spekulation. Ob man von einer „Annäherung“ der Eheleute sprechen kann (vgl. die Stellungnahme des Rechtsanwalts   vom 19.09.2019) mag dahinstehen. Generell gibt es auch bei geschiedenen Eheleuten –natürlich nur in bestimmten Konstellationen – „Annäherungen“. Eine Aufhebung oder Änderung der Tatsache, dass die Ehe als „zerrüttet“ zu werten ist, bedeutet das nicht, jedenfalls nicht zwingend.

b) Der Erblasser hat die Scheidung am 17.10.2008 beantragt und ihr insoweit damals zugestimmt. Der Scheidungsantrag wurde formal durch den Erblasser auch nicht zurückgenommen. Die Angelegenheit wurde, weil die Parteien sie sechs Monate nicht betrieben, auf Anordnung des Richters weggelegt (Bl. 85 der Scheidungsakte). Ein Ruhen des Verfahrens wurde nicht durch Beschluss festgestellt.

Soweit die unmittelbar sich aus der Akte ergebenden Fakten.

b1) Der Akteninhalt belegt nach Auffassung des Gerichts gleichwohl, dass zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers dieser die Scheidung nicht mehr wollte und auch den Antrag auf Scheidung nicht mehr aufrechterhalten wollte und es daher zu diesem Zeitpunkt sowohl an einem „Antrag“ auf Scheidung als auch einer „Zustimmung“ im Sinne des Gesetzgebers des § 1933 BGB fehlte.

b2) Auf den rein formalen Gesichtspunkt der tatsächlichen – anwaltlichen - Rücknahme des Scheidungsantrages zur Akte oder der ausdrücklichen Erklärung zur Scheidungsakte durch den Antragsteller, er stimme der Scheidung nicht mehr zu bzw. ziehe den Scheidungsantrag zurück, kommt es nach Auffassung des Sachbearbeiters  bei der Auslegung des § 1933 BGB nicht an.

Gründe zu b1):

Als maßgeblich für die tatsächliche Einschätzung wird der Schriftsatz des Rechtsanwalts     vom 10.11.2009 [also unmittelbar zu dem Zeitpunkt geschrieben, als das Scheidungsverfahren nicht weiter betrieben und dann weggelegt wurde] an den Kollegen der gegnerischen Partei     angesehen, weil es ein authentisches Schriftstück ist, welches nicht in Frage steht. In diesem Schriftsatz ist ein Vergleich enthalten, der das Scheidungsverfahren 9 F 381/08 ruhend stellen soll und deutlich macht, dass beide Parteien das Scheidungsverfahren zum damaligen Zeitpunkt nicht weiter betreiben wollten (Nr. 1 des Vergleichs).

Insbesondere sind in diesem Schreiben und am Ende des Vergleichs auch die Motive dargestellt, welche dazu führen, dass das Scheidungsverfahren nicht weiter betrieben werden soll, jedenfalls (zunächst) zum damaligen Moment nicht. Es handelt sich hierbei um wirtschaftliche/steuerrechtliche Faktoren bzw. eine günstige Regelung des Versorgungsausgleichs.

Beide Seiten wollten bereits zum damaligen Zeitpunkt die Scheidung nicht mehr, weil es finanziell bzw. versorgungsrechtlich so besser erschien. Dass dies insbesondere auch für den Antragsteller galt, lässt sich nach hiesiger Meinung daraus erkennen, dass er bereit war, die Gerichtskosten des Verfahrens 9 F 381/08 auch im Innenverhältnis (siehe Punkt 5 des Vergleichs) zu übernehmen. Er hatte kein Interesse mehr an einer ausgesprochenen Scheidung. Wichtige damals aktuelle Regelungen (wie Ehegattenunterhalt, Renovierung der Wohnung, Zugewinnausgleichsregelung) beinhaltete der Vergleich.

Am Ende des Schriftsatzes wird erklärt, warum der Scheidungsantrag nicht komplett zurückgenommen wurde: „Für beide Parteien wäre es von Vorteil, dass für den Fall, dass das Scheidungsverfahren weiterbetrieben werden soll, dann altes Recht gilt.“ Auch hier ist von wirtschaftlichem Vorteil die Rede.

Als Erklärung wird noch angefügt: „Bezüglich des Versorgungsausgleichs ist insoweit an das Rentnerprivileg zu denken, das ja nach neuem Versorgungsausgleichsgesetz entfallen würde und damit dann Ihren Mandanten benachteiligen würde, ebenso aber unsere Mandantin aufgrund des Altersunterschiedes der Parteien.“

Am Ende des Scheidungsverfahrens gab es aufgrund dieser Belege keinen Willen des Antragstellers mehr, die Ehe zu scheiden. Es ergibt sich nirgendwo in den Akten ein Hinweis darauf, dass sich dies bis zu seinem Tod geändert hätte. Der (rechtliche und wirtschaftliche) Vorteil, den die Parteien – wenn sie denn überhaupt später noch daran gedacht haben - durch eine mögliche Wiederaufnahme des Verfahrens gehabt hätten, sollte nicht aufgegeben werden. Deshalb wurde der Scheidungsantrag nicht auch formal zurückgenommen.

Gründe zu b2):

Als Beleg für die Auffassung des Sachbearbeiters und die Auslegung des § 1933 BGB wird das Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.12.1990 – zu 7 U 7/89 – herangezogen. Dort heißt es:

„§ 1933 BGB trägt von seinem Zweck her dem mutmaßlichen Erblasserwillen Rechnung, den überlebenden Ehegatten von dem gesetzliche Erbrecht nach Beginn des Ehescheidungsverfahrens auszuschließen (BGHZ WM 1990, 1761, 1763). Das führt zu einem erheblichen Eingriff in die Rechtssphäre des überlebenden Ehegatten. Als Ausnahmevorschrift ist § 1933 BGB deshalb eng auszulegen (BGHZ a. a. O., 1761, 1763). Die Gleichstellung der Rechtsfolgen in Bezug auf das Ehegattenerbrecht von rechtskräftiger Scheidung und begründetem Scheidungsantrag rechtfertigt sich nur aus dem Gesichtspunkt, dass es unbillig ist, die Beteiligung des Überlebenden davon abhängig zu machen, ob der Erblasser zufällig vor oder nach Eintritt der Rechtskraft stirbt (Soergel-Stein, 11. Aufl., § 1933 Rdnr. 3).

Dem wird hier gefolgt. Analog der dortigen Entscheidung wird für den hiesigen Sachverhalt fortgesetzt:

Der Abschluss des im Oktober 2008 begonnen Ehescheidungsverfahrens ist nicht erst durch den Tod des Erblassers im Mai 2019 beendet worden. Das Verfahren wurde vielmehr seit September 2009 nicht weiter betrieben. Ein solches Verhalten ist in seinen erbrechtlichen Wirkungen nicht wie eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 136 FamFG zu behandeln. Die Stellung eines solchen Antrages auf Aussetzung mag an dem gesetzlichen Entzug des gesetzlichen Erbrechts gem. § 1933 BGB nichts ändern (vgl. Soergel-Stein a. a. O. § 1933 Rdnr. 4). Den Eheleuten soll im Interesse der Fortsetzung der Ehe bei einem solchen Antrag Gelegenheit gegeben werden, die Gesamtsituation zu überdenken, ohne befürchten zu müssen, während dieser Zeit Rechtspositionen zu verlieren. Ein solcher Antrag wurde aber gerade nicht gestellt. Jedenfalls ist eine Aussetzung im o. g. Sinne dem hier gegebenen Nichtbetreiben des Verfahrens über einen Zeitraum von gut neun Jahren, selbst wenn der Rechtsstreit ursprünglich einmal ausgesetzt sein sollte, nicht gleichzusetzen.

Hier das OLG Düsseldorf, a. a. O. wörtlich: „ Das Verhalten [hier: des Erblassers] ist vielmehr wie eine Rücknahme des Scheidungsbegehrens zu behandeln. Bei einer Antragsrücknahme ist es….als nicht rechtshängig anzusehen.“

Es gibt innerhalb der gut neun Jahre keinen Beleg dafür, dass das Scheidungsverfahren weiterverfolgt werden sollte – weder seitens des Antragstellers noch seitens der Antragsgegnerin.

Ein reines Abstellen auf die Bemessung unterschiedlich langer Zeiträume, wie in der Entscheidung des OLG Köln vom 30.11.2011 – zu 2 Wx 122/11 – erfolgt (siehe dort Rdnr. 13:  21 Jahre bzw. 25 Jahre in Abgrenzung zu der Entscheidung des OLG Düsseldorf FamRZ 1991, 1107 und des OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 760 seien anders zu behandeln als kürzere Zeiträume von mehreren Jahren), geht nach Auffassung des Sachbearbeiters am Sinn und Zweck des § 1933 BGB vorbei.

Ein Zeitraum von neun Jahren reicht nach den hier zu eigen gemachten Argumenten der o. g. Düsseldorfer Entscheidung aus, um einen Willen zur Weiterbetreibung des Scheidungsverfahrens des Erblassers bzw. beider Parteien auszuschließen.

Ergänzend ein weiterer Gedanke: Der BGH lehnt in seiner Entscheidung vom 06.06.1990 - zu IV ZR 88/89 - (WM 1990, 1761 - 1763; BGHZ 111, 329-334) das Genügen einer Anhängigkeit des Scheidungsantrages für eine Anwendbarkeit des Ehegattenausschlusses vom Erbrecht gem. § 1933 BGB ab. Der Scheidungsantrag muss nach Auffassung des BGH zugestellt sein. In dem vom BGH beurteilten Sachverhalt wurde der Scheidungsantrag nicht zugestellt, und daher lagen nach der Darstellung des BGH die Voraussetzungen für den Ausschluss des Ehegattenerbrechtes nicht vor (keine Beteiligung des Ehegatten am Verfahren mangels Zustellung bzw. einer notwendigen Verfahrenshandlung). Der BGH geht in diesem Zusammenhang auch auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ein.

Wenn ein Verfahren wie hier mehr als neun Jahre ausgesetzt ist, erfordert - vom Schutzzweck der Vorschrift her aus dem Blick der BGH-Entscheidung gesehen - ein  fiktiv betrachtet möglicher neuer Start des Verfahrens auch eine notwendige erneute Beteiligung der anderen Seite - welche durch Zustellung erfolgen muss. Eine erneute Ingangsetzung des Verfahrens und eine entsprechende Beteiligung der Ehefrau bzw. deren Verfahrensbevollmächtigten wäre eine solche in diesem Sinne notwendige Verfahrenshandlung, an der es hier aber fehlt. Nach einem solchen Zeitraum ist jedenfalls mit einer tatsächlichen Fortführung des Verfahrens nicht mehr (keineswegs unmittelbar) zu rechnen.

Es kann im Ergebnis nach Auffassung des Sachbearbeiters auch in dem hiesigen Fall der kompletten Aussetzung des Verfahrens für einen so langen Zeitraum im beiderseitigen Einverständnis nichts anderes gelten als für die BGH-Entscheidung selbst auch: keine Anwendbarkeit des § 1933 BGB.

Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des gesetzlichen Ehegattenerbrechts waren zum Zeitpunkt des Todesfalles nicht gegeben, da ein Antrag auf Scheidung des Erblassers de facto nicht mehr vorlag und er einer Scheidung auch nicht mehr zustimmte.

Die – kumulativ, durch "und" - Verknüpfung geltenden - Voraussetzungen des § 1933 BGB sind daher nicht gegeben.

Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, welcher den Antragsteller und Bruder als Alleinerben ausweist und die Ehefrau als Erbin ausschließt, war aus vorstehenden Gründen deshalb zurückzuweisen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Beschwerde zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind.

Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht – Lemgo, Am Lindenhaus 2, 32657 Lemgo schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.

Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht – Lemgo eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht 600 Euro, ist der Rechtsbehelf der Erinnerung gegeben. Sie steht jedem zu, dessen Rechte durch die Entscheidung beeinträchtigt sind.

Die Erinnerung ist schriftlich in deutscher Sprache bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht – Lemgo, Am Lindenhaus 2, 32657 Lemgo einzulegen. Die Erinnerung kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts abgegeben werden und soll begründet werden.

Die Erinnerung muss binnen einer Frist von zwei Wochen bei dem zuständigen Amtsgericht - Nachlassgericht – Lemgo eingegangen sein. Das gilt auch dann, wenn die Erinnerung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen als dem nach dieser Belehrung zuständigen Amtsgerichts abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.