Kanzlei Tykwer & Kirsch
Carsten Tykwer
Heidenoldendorfer Straße 134
32758 Detmold
Fon: 0 52 31- 33 08 8
Fax: 0 52 31 - 33 23 3
Mobil: 0 17 3 - 28 90 822
E-mail:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 02.01.2013 teilweise abgeändert.
Die Beklagten zu 3.) und 4.) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.251,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.03.2012 zu zahlen.
Die Beklagten zu 3.) und 4.) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.03.2012 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in I. und II. Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1.), 2.) und 5.). Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3.) und 4.) trägt die Klägerin jeweils 6 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 3.) und 4.) jeweils 18 %.
Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 64 % und die Beklagten zu 3.) und 4.) jeweils 18 %.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die II. Instanz beträgt 3.474,44 €.
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erfolgt, und führt zur teilweisen Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 3.) und 4.) als Gesamtschuldner einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.251,55 € gemäß den §§ 832 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Aufsichtspflichten gegenüber ihren minderjährigen Kindern, den Beklagten zu 1.) und 2.).
a.
Die Beklagten zu 3.) und 4.) haben ihre Aufsichtspflichten verletzt, da sie die Beklagten zu 1.) und 2.) nicht ihrem Alter entsprechend überwacht haben.
Gemäß § 832 Abs. 1 BGB ist, wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.
aa.
Die Tatsache, dass die Beklagten zu 1.) und 2.) im Alter von knapp sechs und gerade sechs Jahren das Fahrzeug der Klägerin mit Steinen zerkratzt und damit eine unerlaubte Handlung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB verwirklicht haben, ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Umstand, dass nicht mehr genau festgestellt werden kann, wer welche Schäden verursacht hat, ist gemäß § 830 Abs. 1 BGB unschädlich.
bb.
Den Beklagten zu 3.) und 4.) ist der Entlastungsbeweis nach § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gelungen. Sie haben weder dargelegt, dass sie die Beklagten zu 1.) und 2.) in zeitlicher Hinsicht ordnungsgemäß überwacht haben, noch vermochten sie zu beweisen, dass sie diese ordnungsgemäß belehrt haben, fremdes Eigentum zu achten und nicht zu beschädigen.
Aaa.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat, sondern vielmehr, ob dies im konkreten Fall und Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (BGH NJW 2009, 1952).
Demnach können normal entwickelte Kinder im Alter von fünfeinhalb Jahren zwar eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden. Zu ihrer Entwicklung gehört die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien, ohne dass sie auf „Schritt und Tritt” zu beaufsichtigen sind. Kinder in diesem Alter dürfen also ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Straße, auf dem Bürgersteig spielen und müssen dabei nur gelegentlich beobachtet werden. Dabei wird ein Kontrollabstand von 15 bis 30 Minuten als zulässig angesehen, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen (BGH NJW 2009, 1952 m. w. N.). Bei Kindern im Alter von 7 – 8 Jahren, die in der Regel den Schulweg allein zurücklegen, kann es im Allgemeinen genügen, wenn sich die Eltern in großen Zügen einen Überblick verschaffen (BGH NJW 2009, 1954). Damit wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Zäsur zwischen den Entwicklungsstufen eines Kindergarten- und eines Schulkindes vorgenommen. Zu berücksichtigen ist zudem die Wertung des Gesetzgebers in § 828 BGB, wonach ein noch nicht 7 Jahre altes Kind für den einem anderen zugefügten Schaden grundsätzlich nicht verantwortlich ist.
Die Beklagten zu 1.) und 2.) waren zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung knapp 6 und gerade 6 Jahre alt und gingen noch nicht zur Schule. Damit sind sie als Kinder einzuordnen, bei denen eine regelmäßige Überprüfung im Abstand von 15 bis 30 Minuten erforderlich gewesen ist. Diesen Kontrollabstand haben die zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung aufsichtspflichtigen Beklagten zu 3.) und 4.) nicht eingehalten. Sie haben dargelegt, dass sie erst nach ca. 45 Minuten aus dem Wohnzimmerfenster geschaut hätten, um sich über das Spielverhalten der Kinder zu informieren.
Bbb.
Die Beklagten zu 3.) und 4.) haben auch nicht bewiesen, dass sie die Beklagten zu 1.) und 2.) regelmäßig angehalten haben, fremdes Eigentum zu achten und nicht zu beschädigen. Eine solche allgemeine Belehrung ist im Alter von knapp sechs und gerade sechs Jahren in Anbetracht des Spieltriebs, des Erkundungsdrangs und des noch nicht ausgereiften Verständnisses für das Eigentum Dritter erforderlich, um die Schädigung fremden Eigentums möglichst zu vermeiden. Davon wäre auch die konkrete Beschädigung fremder Autos mit umfasst gewesen (s. hierzu BGH NJW 2009, 1952). Die Erfüllung dieser Verpflichtung von Seiten der Aufsichtspflichtigen vermochte die persönliche Anhörung der Beklagten zu 1.) und 2.) durch die Kammer nicht zu ergeben; weitere Beweismittel wurden von den beweisbelasteten Beklagten nicht angeboten.
b.
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist in Höhe von insgesamt 3.251,55 € begründet.
aa.
Der Klägerin steht ein Ausgleichanspruch für die Reparaturkosten gemäß der Rechnung der Firma C2 & K vom 25.07.2011 in Höhe von 2.655,94 € zu.
bb.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € ersatzfähig.
cc.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten in Höhe von 320, 61 €.
Die Klägerin durfte ausweislich des Gutachtens der DEKRA vom 05.07.2011 für die Reparaturdauer von 4 Tagen einen Mietwagen in Anspruch nehmen. Bei dem beschädigten Fahrzeug handelt es sich um einen BMW 1er, der nach der Schwacke-Liste in die Klasse 5 einzuordnen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer werden die Mietwagenkosten aus dem arithmetischen Mittel der Werte aus dem Schwacke Automietpreisspiegel und der Liste des Fraunhofer Institutes ermittelt. Bei der Anwendung der Tabellen ist von der jeweiligen Gesamtmietdauer auszugehen und daraus der jeweilige Tagesmietpreis zu errechnen, also bei einer Mietdauer von 4 Tagen insgesamt der Tagesmietpreis bei einer Anmietung für 3 Tage und nicht etwa der Preis für 3 Miettage zzgl. des Preises für lediglich 1 Miettag (OLG Hamm, Urteil vom 20.07.2011 - I-13 U 108/10 m. w. N.).
Bei der Bemessung des Normaltarifs nach der Schwacke-Liste ist vom gewichteten Mittel (sogenannter „Modus“) auszugehen. Das gewichtete Mittel gibt im Gegensatz zum ebenfalls ausgewiesenen arithmetischen Mittel die tatsächlich angebotenen Preise wieder. Dies stellt - auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2010, 1445 ff.; NJW 2010, 2569) - eine geeignete Grundlage für die Schätzung des Normaltarifs dar. Bei der Liste des Fraunhofer Instituts ist mangels Angabe eines Moduswertes von dem Mittelwert der Ergebnisse auszugehen (hierzu insgesamt OLG Karlsruhe: Urteil vom 11.08.2011 - 1 U 27/11).
Die Kammer ist bei der Berechnung von folgenden Parametern ausgegangen:
- Mietwagenklasse 5
- PLZ-Gebiet 321 bzw. 3
- Marktpreisspiegel 2011
- Anmietdauer 4 Tage
Daraus ergibt sich folgende Berechnung:
Tagesmietpreis Schwacke 2011 für 3 Tage: 345,00 €
Geteilt durch 3 (Tage): 115,00 €
Mal 4 (Tage): 460,00 €
Tagesmietpreis Fraunhofer 2011 für 3 Tage: 189,34 €
Geteilt durch 3 (Tage): 63,11 €
Mal 4 (Tage): 252,45 €
Summe: 712,45 €
Geteilt durch 2: 356,23 €
Abzgl. 10 % ersparte Eigenaufwendungen: - 35,62 €
Gesamt: 320, 61 €
dd.
Die Klägerin hat schließlich einen Anspruch auf Ersatz des in dem Gutachten der DEKRA ermittelten merkantilen Minderwertes in Höhe von 250,00 €, da die erfolgten Beschädigungen des Fahrzeuges nicht als Bagatellschaden einzuordnen sind. Verbreitet wird ein Bagatellschaden angenommen, wenn die Reparaturkosten 10 % des Wiederbeschaffungswertes nicht übersteigen (MüKo BGB/Oetker, 6. Aufl., § 249 Rnr. 55). Die Reparaturkosten betragen ausweislich des DEKRA-Gutachtens 2.212,10 € netto. Der Wiederbeschaffungswert wurde in dem Gutachten nicht ermittelt. Die Kammer hat aufgrund einer Recherche im Internet den Wiederbeschaffungswert eines nach Alter und Kilometerstand vergleichbaren Fahrzeuges gem. § 287 ZPO mit 11.000,00 bis 12.000,00 Euro angesetzt. Demnach liegen die Reparaturkosten oberhalb der 10-%-Grenze.
c.
Der Zinsanspruch in Bezug auf die Hauptforderung ist erst ab Rechtshängigkeit begründet, § 291 BGB. Die Klägerin hat die Versicherungen der Beklagten zu 3.) und 4.) mit Schreiben jeweils vom 08.11.2011 durch ihren Rechtsanwalt zur Schadensbegleichung bis zum 18.11.2011 aufgefordert, nicht jedoch die Parteien selbst. Diese wurden lediglich aufgefordert, sich mit ihren Versicherungen in Verbindung zu setzen. Gemäß § 425 Abs. 1 BGB sind andere als die in den §§ 422 bis 424 BGB bezeichneten Tatsachen, soweit sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt, nur für und gegen den Gesamtschuldner wirksam, in dessen Person sie eingetreten sind. Dies gilt nach Absatz 2 insbesondere für den Verzug.
d.
Die Klägerin hat schließlich einen materiellen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu 3.) und 4.) als Gesamtschuldner auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 € gemäß den §§ 832 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einen Schriftsatz der Rechtsschutzversicherung vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin zur Geltendmachung der vorgerichtlichen Kosten ermächtigt ist. Die Kammer erachtet jedoch eine Abweichung von der Regelgebühr im Sinne der Nr. 2300 VV RVG nicht für gerechtfertigt, da die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig war. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
2.
Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 5.).
a.
Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 832 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Aufsichtspflichten gegenüber den minderjährigen Kindern besteht nicht, da der Beklagte zu 5.) unstreitig zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung der Beklagten zu 1.) und 2.) nicht zugegen war. Die Aufsichtspflicht über das gemeinsame Kind, den Beklagten zu 2.), hatte zu diesem Zeitpunkt die Beklagte zu 4.).
b.
Gegen den Beklagten zu 5.) besteht auch kein Anspruch gemäß §§ 780, 781 BGB, da unstreitig kein schriftliches Schuldversprechen gemäß § 780 BGB bzw. Schuldanerkenntnis im Sinne von § 781 BGB abgegeben worden ist.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre gesetzliche Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.